Hessisches Finanzgericht: Urteil zur mittelbaren Anteilsvereinigung gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, Vertrauensschutz, Treu und Glauben

April 01, 2022

Hessisches Finanzgericht: Urteil zur mittelbaren Anteilsvereinigung, Vertrauensschutz, Treu und Glauben

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HESSISCHES FINANZGERICHT: URTEIL ZUR MITTELBAREN ANTEILSVEREINIGUNG, VERTRAUENSSCHUTZ, TREU UND GLAUBEN

Mit Urteil vom 27.01.2022 (5 K 640/20) nimmt das Hessische FG zur mittelbaren Anteilsvereinigung gem. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG Stellung, die über eine zwischengeschaltete Personengesellschaft vermittelt wird. Neben der – wie zuvor seitens des BFH vorgenommenen – Auslegung des (mittelbaren) Anteilsbegriffs iSe vermögensmäßigen Beteiligung an der Zwischengesellschaft beschäftigt sich das FG mit Aspekten des Vertrauensschutzes und den Voraussetzungen der abweichenden Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO. Das FG hat die Revision beim BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Sachverhalt

In 2012 erwarb die Klägerin 94% der Anteile an einer grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft. Die restlichen 6% wurden von einer KG erworben, an der die Klägerin als Kommanditistin zu 100% am Vermögen beteiligt war. Die Anteile an der nicht vermögensmäßig beteiligten Komplementärin der KG wurden von einem Dritten gehalten. Insoweit lag keine grunderwerbsteuerliche Organschaft zur Klägerin vor. Die Anzeige eines grunderwerbsteuerbaren Erwerbvorgangs gem. § 19 GrEStG erfolgte zunächst nicht.

Im Nachgang zum Urteil des BFH vom 27.09.2017 (II R 41/15) zur Auslegung des Anteilsbegriffs iSd. § 1 Abs. 3 GrEStG und der Veröffentlichung der gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19.09.2018 zeigte die Klägerin einen grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgang mit Schreiben vom 04.04.2019 an.

Gegen die nachfolgende Festsetzung der Grunderwerbsteuer erhob die Klägerin Einspruch und beantragte daneben eine abweichende Festsetzung der Steuern aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO auf EUR 0. Beides wurde vom Finanzamt abgewiesen.

Die Klage richtete sich gegen den Grunderwerbsteuerbescheid. Hilfsweise soll das Finanzamt verpflichtet werden, die Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO auf EUR 0 festzusetzen bzw. den Antrag der Klägerin auf Billigkeitsfestsetzung neu zu bescheiden.

Entscheidung

Das FG hielt die Klage gegen den Grunderwerbsteuerbescheid für unbegründet. Im Hinblick auf den ablehnenden Bescheid betreffend den Billigkeitsantrag gem. § 163 AO erkannte das FG einen Ermessensfehler des Finanzamts und verpflichtete das Finanzamt diesen Antrag neu zu verbescheiden.

Wie zuvor der BFH (vgl. Urteil vom 27.09.2017, II R 41/15) geht das FG davon aus, dass für Zwecke des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG das Vorliegen einer mittelbaren Beteiligung an einer grundbesitzhaltenden Gesellschaft, die über eine Personengesellschaft vermittelt wird, anhand der vermögensmäßigen Beteiligung und nicht auf Basis der sachenrechtlichen Beteiligung am Gesamthandsvermögen an der vermittelnden Personengesellschaft zu würdigen ist. Demnach führte die 100%ige vermögensmäßige Beteiligung der Klägerin an der vermittelnden Personengesellschaft dazu, dass ihr die von der Personengesellschaft erworbene 6%ige Beteiligung an der grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft als mittelbare Beteiligung für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG zuzurechnen ist. Zusammen mit der unmittelbar erworben Beteiligung iHv. 94% an der grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft war die Beteiligungsschwelle des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG a.F. iHv. 95% erreicht, so dass aus Sicht des FG ein grunderwerbsteuerbarer Erwerbsvorgang aufgrund einer unmittelbaren und mittelbaren Vereinigung von mindestens 95% der Anteile an der grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft auf Ebene der Klägerin verwirklicht worden war. Nach Ansicht des FG ist das Vorliegen einer mittelbaren Beteiligung unabhängig davon, ob diese Beteiligung über eine zwischengeschaltete Kapital- oder eine Personengesellschaft vermittelt wird, anhand der vermögensmäßigen Beteiligung an der Zwischengesellschaft zu prüfen. Eine unterschiedliche Behandlung sei auch unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen. Auch die zwischenzeitliche Einführung des § 1 Abs. 3a GrEStG durch Gesetz vom 26.06.2013 rechtfertigt nach Ansicht des FG keine andere Beurteilung.

Das FG erkennt in der Festsetzung der Grunderwerbsteuer keine Verletzung eines Vertrauensschutzes zu Lasten der Klägerin. Ein solcher kann mangels Bescheid nicht aus § 176 AO abgeleitet werden. Auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben lässt sich vorliegend ein Vertrauensschutz nicht ableiten: Es kam nach Ansicht des FG weder zu einer Verschärfung der Rechtsprechung (auf welche der Steuerpflichtige bei seiner Disposition vertraut hatte) noch zur Änderung einer langjährigen, gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 08.08.2001, II R 66/98) wonach als Anteil an einer Personengesellschaft die sachenrechtliche Berechtigung am Gesamthandsvermögen und nicht die vermögensmäßige Beteiligung ausschlaggebend sei, ist zu einer vormaligen Rechtslage ergangen (Beteiligungsschwelle iHv. 100%) und lässt sich nicht auf den zwischenzeitlich geänderten Gesetzeswortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG a.F. (Beteiligungsschwelle iHv. 95%) anwenden. Auch eine Verletzung des Vertrauensschutzes nach „Treu und Glauben aus dem Verwaltungshandeln“ lehnt das FG ab. Zwar nehmen die zum Dispositionszeitpunkt der Klägerin in 2012 veröffentlichten Verwaltungserlasse betreffend § 1 Abs. 3 GrEStG iZm Abs. 4 GrEStG einerseits sowie § 1 Abs. 3 GrEStG iZm Treuhandgeschäften andererseits auf die grunderwerbsteuerliche Qualifikation des Anteils an einer Personengesellschaft iSe sachenrechtlichen Beteiligung entsprechend der BFH-Rechtsprechung vom 08.08.2001 Bezug. Die Vertrauensschutzwirkung geht nach Ansicht des FG jedoch nicht „über den angegebenen Regelungsbereich des Erlasses hinaus“ und erstreckt sich damit nicht auf den vorliegenden Urteilssachverhalt.

Das FG gibt dem Antrag der Klägerin nicht statt, das Finanzamt zu verpflichten, die Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen mit EUR 0 festzusetzen. Allerdings hat das Finanzamt nach Ansicht des FG sein Ermessen bei der Entscheidung über den Billigkeitsantrag gem. § 163 AO fehlerhaft ausgeübt und dieses hierbei unterschritten. Denn das Finanzamt lehnte hierbei einen Vertrauensschutz der Klägerin mit Verweis auf die „treuwidrige“ Verletzung der Anzeigepflicht gem. § 19 GrEStG seitens der Klägerin ab.

Daneben ging das Finanzamt mit Verweis auf die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 19.09.2018, davon aus, dass im Hinblick auf den Billigkeitsantrag kein Ermessensspielraum bestehe. Das FG stimmt dem nicht zu und verpflichtet das Finanzamt über den Billigkeitsantrag neu zu bescheiden.
Daneben hat das FG die Revision gegen das Urteil beim BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Das Revisionsverfahren ist unter dem Aktenzeichen II R 7/22 beim BFH anhängig. Der BFH bekommt damit Gelegenheit, sich mit der rechtlichen Würdigung des FG betreffend die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen auseinanderzusetzen. Diese Überlegungen waren nicht Gegenstand des BFH-Urteils vom 27.09.2017 zur Auslegung des Anteilsbegriffs iSd. § 1 Abs. 3 GrEStG.

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