Corporate Board Meeting

April 01, 2022

Virtuelle Hauptversammlung – For Now and Forever?

Abonnieren

Sprung Link Text

 

VIRTUELLE HAUPTVERSAMMLUNG – FOR NOW AND FOREVER?

Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 hat das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts , Genossenschafts , Vereins , Stiftungs , und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (COVMG) sie möglich gemacht: die virtuelle Hauptversammlung (HV). Doch das zwischenzeitlich mehrfach verlängerte und veränderte Gesetz tritt zum 31.08.2022 außer Kraft. Eine Anschlussregelung könnte der Referentenentwurf (Ref-E) des Bundesministeriums für Justiz (BMJ) vom 09.02.2022 liefern – und die virtuelle HV für die Aktiengesellschaft (AG), die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), die Europäische Aktiengesellschaft (SE) und den Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) dauerhaft etablieren.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Von der Möglichkeit der Abhaltung einer virtuellen HV wurde während der vergangenen zwei Jahre reger Gebrauch gemacht. Während Versammlungen vor Ort aufgrund der pandemischen Lage zeitweise nicht oder nur eingeschränkt möglich waren, konnten virtuelle HVen jedenfalls in Abwesenheit der Aktionäre bzw. ihrer Vertreter am Ort der Versammlung abgehalten werden. Der Ref-E soll nun die Basis für die Verstetigung dieser Regelung bilden und die dafür zu erfüllenden Voraussetzungen konkretisieren. 
In der virtuellen HV kann „über alle Gegenstände Beschluss gefasst werden, die auch Gegenstand der Präsenzversammlung sein können, also insbesondere auch Strukturmaßnahmen wie Veränderungen des Kapitals“. Denn der Ref-E zielt insbesondere darauf ab, „das Niveau der Rechtsausübung durch die Aktionäre dem der Präsenzversammlung vergleichbar [zu] gestalten und gleichzeitig eine durch das virtuelle Format erforderliche Entzerrung der Versammlung“ zu erreichen. 

Virtuelle HV – auf Dauer auf Zeit

Zunächst einmal bedarf jedoch die Durchführung virtueller HVen stets einer Satzungsgrundlage: entweder, die Satzung selbst sieht diesen Modus Operandi vor, oder sie ermächtigt den Vorstand dazu, ihn vorzusehen. Sowohl Satzungs- als auch Vorstandsermächtigung sind auf fünf Jahre zu befristen und müssen im Anschluss erneuert werden. Für bis einschließlich zum 31.08.2023 einberufene, aber erst nach diesem Datum stattfindende HVen gilt übrigens eine Übergangsregelung: Sie bedürfen keines Satzungsbeschlusses. Stattdessen darf der Vorstand (mit Zustimmung des Aufsichtsrats) die Entscheidung über die Abhaltung der Versammlung als virtuelle HV treffen, in deren Rahmen dann ein entsprechender satzungsändernder Beschluss gefasst werden kann. Insbesondere die ordentliche HV des Jahres 2023 kann so noch ohne Satzungsgrundlage als virtuelle Versammlung abgehalten werden.

Neu = besser?

Inhaltlich greift der Ref-E vielfach auf bereits aus dem COVMG bekannte Regelungen zurück. So muss die gesamte Versammlung weiterhin mit Bild und Ton übertragen werden, für die Ausübung ihres Stimmrechts stehen den Aktionären auch in Zukunft die Möglichkeiten elektronischer Kommunikation zur Verfügung, ebenso für die Inanspruchnahme der Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der HV. 

Unter anderem erhalten die Aktionäre nach dem Ref-E die Möglichkeit, während der virtuellen HV (ebenfalls im Wege elektronischer Kommunikation) ihr Rederecht auszuüben. Das Rederecht soll live und im Wege der Videokommunikation ausgeübt werden können; die zu diesem Zweck verwendete Plattform kann die Gesellschaft selbst bestimmen. Der für die Redezeit der Aktionäre zu veranschlagende Zeitraum sowie die Anzahl der Redebeiträge innerhalb dieses Zeitraums können von der Gesellschaft in „angemessener“ Weise beschränkt werden. Einen Maßstab für die Angemessenheit bleibt der Ref E allerdings schuldig. Dies könnte zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen. Die Anmeldung sämtlicher Redebeiträge muss mindestens vier Tage vor der virtuellen HV erfolgen (bei der Berechnung der Frist zählt der Tag der HV nicht mit, das hat der Ref-E erfreulicherweise noch einmal klargestellt). Gehen mehr Anmeldungen ein, als zugelassen werden können, erfolgt die Zulassung nach der Reihenfolge des Eingangs bei der Gesellschaft, die allerdings auch selbständig entscheiden kann, alle angemeldeten Redebeiträge zuzulassen. Über die Reihenfolge der Redebeiträge entscheidet sodann der Versammlungsleiter vor Ort. 

Schon nach bisheriger Rechtslage steht den Aktionären in der HV ein Auskunftsrecht zu. Ein solches sieht auch der Ref-E vor – mit einer Einschränkung: Im Rahmen von Redebeiträgen dürfen keine Fragen gestellt werden. Der Ref-E verlagert das Fragerecht in das Vorfeld der Versammlung und trennt so bereits organisatorisch das Rede- und das Fragerecht der Aktionäre. Angemeldete Redebeiträge dürfen entsprechend nicht – gewissermaßen „durch die Hintertür“ – dazu genutzt werden, (u.U. nicht angemeldete) Fragen zu stellen. Das BMJ führt dazu in der Begründung zum Ref-E aus:

„Fragen und Nachfragen müssen also auch durch die zur Rede zugelassenen Aktionäre gesondert und über den Kanal der elektronischen Kommunikation übermittelt werden, der dafür zur Verfügung steht (etwa Chat-Funktion im Aktionärsportal, E-Mail).“

Die Fragen sind von den Aktionären mindestens vier Tage vor der virtuellen HV einzureichen (ggf. kann die Ausübung des Fragerechts bedingt werden durch die ordnungsgemäße Anmeldung zur HV) und sodann (bei börsennotierten Gesellschaften) allen Aktionären über die Webseite der Gesellschaft zugänglich zu machen. Fragen sind sodann – wie gehabt – während der HV zu beantworten. Dies soll insbesondere der zeitlichen Entzerrung der virtuellen HV sowie der Steigerung der Qualität der Antworten dienen. Eine Beantwortung „aus dem Stehgreif“, die stets das Risiko der Weitergabe falscher oder zumindest ungeprüfter Informationen birgt, wird durch die Möglichkeit der umfassenden Vorbereitung der Antworten vermieden. Ebenso wie das Rederecht darf die Gesellschaft auch das Auskunftsrecht „angemessen“ beschränken (z.B. Anzahl der zulässigen Fragen pro Aktionär). Problematisch erscheint allerdings, dass die jeweils für die kommende HV geltenden Beschränkungen bereits bei Einberufung der virtuellen HV bekanntgegeben werden müssen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem noch keinerlei Erkenntnisse über die Anzahl der Teilnehmenden an der HV vorliegen, geschweige denn über deren Frage- und Diskussionsbedarf. Inwieweit sich in der Praxis solche Beschränkungen durchsetzen werden, werden die kommenden HV-Saisonen zeigen.

Neu ist das Recht der Aktionäre, während der virtuellen HV Nachfragen zu vorab eingereichten Fragen und in der HV gegebenen Antworten zu stellen. Der Ref-E lässt allerdings offen, ob das Nachfragrecht nur denjenigen Aktionären zusteht, die selbst im Vorfeld der Versammlung Fragen eingereicht haben.

Anträge, die keine Gegenanträge sind, dürfen in der virtuellen HV gestellt werden, allerdings ebenfalls nicht im Rahmen von Redebeiträgen. Sie sind im Wege elektronischer Kommunikation, also per E-Mail oder über ein Aktionärsportal, zu stellen, wobei nach dem Ref-E auch die gesonderte elektronische Zuschaltung des betreffenden Aktionärs möglich sein soll. Gegenanträge sind dagegen – wie gehabt – vor der HV einzureichen.

Das gilt auch für Stellungnahmen. Wie in der virtuellen HV zu beantwortende Fragen sind auch die Stellungnahmen mindestens vier Tage vor der Versammlung einzureichen und allen Aktionären zugänglich zu machen. Die Stellungnahmen müssen auf einen bestimmten Tagesordnungspunkt bezogen sein, sind aber nach dem Ref-E nicht formatgebunden. Die Aktionäre dürfen sich in Textform oder sogar mittels einer Videobotschaft zu Wort melden. Auch Stellungnahmen können im Umfang „angemessen“ beschränkt werden. Die notwendige Sichtung etwaiger Stellungnahmen im Vorfeld der HV könnte die Gesellschaften vor große Herausforderungen stellen: Denn innerhalb der vier Tage vor der Versammlung sind sämtliche eingegangenen Redebeiträge und Fragen zu sichten, zu systematisieren und ggf. auf mögliche Rechtsverstöße zu kontrollieren.

Die eigentliche Durchführung der virtuellen HV birgt ihrerseits weitere, ganz eigene praktische Probleme. Denn natürlich besteht bei elektronisch unterstützten Veranstaltungen stets die Gefahr, dass technische Störungen den Ablauf behindern. Aus diesem Grund greift der Ref-E die bisherige Regelung auf, dass eine Verhinderung der Ausübung der Aktionärsrechte durch technische Probleme jedenfalls kein Recht zur Anfechtung eines unter derartigen Umständen zustande gekommenen HV-Beschlusses gibt. 

Eine Pflicht zur Teilnahme am Ort der Versammlung soll nur noch für den Versammlungsleiter, Vorstandsmitglieder und den Notar bestehen, sowie ggf. für Mitglieder des Aufsichtsrats und den Abschlussprüfer.

Die „virtuelle HV“ hat folglich regelmäßig den Charakter einer „hybriden HV“, auch unter dem Ref-E (obwohl dieser von der „Regelung eines über die Ermöglichung der elektronischen Teilnahme […] hinausgehenden, fortentwickelten Hybridmodells“ ausdrücklich absieht). Daher ist schon bei der Einberufung der HV darauf zu achten, dass die Einladung einen Hinweis auf den Ausschluss der physischen Präsenz und die Möglichkeiten der elektronischen Zuschaltung enthält, daneben aber auch die Angabe des Orts der Versammlung nicht vermissen lässt.

Stand der öffentlichen Kritik

Zu dem Ref-E haben sich in der Zwischenzeit mehrere Verbände, darunter die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), geäußert. Diese bemängelt in ihrer Stellungnahme u.a. die Befristung der Satzungsregelung bzw. der Vorstandsermächtigung zur Durchführung virtueller HVen auf fünf Jahre. Diese sei insbesondere mit Blick auf die vom BMJ angestrebte Stärkung der Aktionärsrechte nicht erforderlich: 

„Die Satzung kann von der Hauptversammlung unabhängig von einer solchen Frist geändert werden, wenn die Möglichkeit zur virtuellen Hauptversammlung für die Gesellschaft wieder abgeschafft werden soll. Ein besonderes Schutzbedürfnis der Aktionäre ist vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen.“

Zudem lasse der Ref-E offen, ob im Einzelfall auch der Aufsichtsrat zur Einberufung der virtuellen HV berechtigt sein könne. 

Problematisch ist nach Ansicht der BRAK auch, dass der Ref-E keine eindeutigen Definitionen von wichtigen Begriffen wie „elektronische Kommunikation“ oder „elektronische Briefwahl“ enthalte. So sei etwa nicht eindeutig geregelt, ob bei der elektronischen Briefwahl nur die elektronische Abstimmung in Echtzeit oder auch eine Einreichung der Stimme per E-Mail umfasst sei. Mit Blick auf die Frageneinreichung im Wege „elektronischer Kommunikation“ führe lediglich die Begründung des Ref-E aus, dass dies auch die E-Mail umfasse.

Auf einen Blick: die wichtigsten Neuerungen unter dem BMJ-Referentenentwurf

  • Durchführung der virtuellen HV erfordert Satzungsbeschluss oder Vorstandsermächtigung (auf fünf Jahre zu befristen).
  • Bei Einberufung der virtuellen HV muss Hinweis auf Ausschluss der physischen Präsenz und Angabe der Möglichkeiten der Zuschaltung für Aktionäre und Vertreter erfolgen.
  • Pflicht zur Teilnahme vor Ort für Versammlungsleiter, Vorstandsmitglieder und Notar, sowie ggf. für Aufsichtsratsmitglieder und Abschlussprüfer.
  • Einreichung von Fragen und Stellungnahmen und Anmeldung von Redebeiträgen der Aktionäre im Wege elektronischer Kommunikation bis vier Tage vor der virtuellen HV erforderlich.
  • Fragen und Anträge dürfen nicht im Rahmen von Redebeiträgen gestellt werden.

Regionale Erfahrung