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Der Bundesfinanzhof („BFH“) hat mit am 08.09.2022 veröffentlichtem Urteil vom 05.04.2022, VII R 18/21 entschieden, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gemäß § 73 AO nicht auf Steuern beschränkt ist, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind. Vielmehr ist die Verwirklichung der steuerrelevanten Sachverhalte (z.B. Ausführung von umsatzsteuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen) während des Bestehens der Organschaft ausschlaggebend.
Die X-GmbH hatte als Organgesellschaft eine umsatzsteuerliche Organschaft mit der A-GmbH begründet. Mit Beschluss vom 27.03.2014 wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH bestellt und die umsatzsteuerliche Organschaft mangels organisatorischer Eingliederung beendet. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der X-GmbH wurde im Mai 2014 eröffnet.
Über das Vermögen der vormaligen Organträgerin A-GmbH wurde im Juli 2014 ebenfalls ein Insolvenzverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt bestanden bei der A-GmbH Umsatzsteuerrückstände gegenüber dem Finanzamt insbesondere aufgrund der Umsatzsteuervoranmeldung betreffend März 2014. Das Finanzamt meldete hieraus im Insolvenzverfahren der vormaligen Organgesellschaft X-GmbH eine Haftungsforderung gem. § 73 AO zur Insolvenztabelle an. Aufgrund des Bestreitens der Forderung seitens des Insolvenzverwalters der X-GmbH erließ das Finanzamt einen Feststellungsbescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO. Nach erfolglosem Einspruch gegen diesen Feststellungsbescheid war die Klage des Insolvenzverwalters der X-GmbH beim Sächsischen Finanzgericht („FG“) erfolgreich. Nach Ansicht des FG bestehe eine Haftung der vormaligen Organgesellschaft im Hinblick auf die Umsatzsteuerrückstände aus der Umsatzsteuervoranmeldung für März 2014 nach § 73 AO nicht, weil diese Umsatzsteuerschuld bei Beendigung der Organschaft am 27.03.2014 mangels Ablauf des Voranmeldezeitraums März 2014 rechtlich noch nicht entstanden gewesen sei. Das Finanzamt legte Revision ein.
Der BFH hält die Revision des Finanzamts für begründet und weist die Sache an das FG zurück, da weitere Feststellungen zu treffen sind.
Das FG habe zu Unrecht entschieden, dass die GmbH als ehemalige Organgesellschaft nur für Steuern des Organträgers hafte, die während des Bestehens der Organschaft entstanden seien. Denn gemäß § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, „für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist“. Das „steuerlich von Bedeutung sein“ ist nach Auffassung des BFH im Falle der umsatzsteuerlichen Organschaft so zu verstehen, dass die Organgesellschaft grundsätzlich in dem Umfang für Steuern des Organträgers haftet, in dem der „Organträger aufgrund des bestehenden Organschaftsverhältnisses die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann“.
Nach dem Sinn und Zweck solle § 73 AO die steuerlichen Risiken ausgleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. Durch den haftungsrechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zahlungsunfähigkeit des Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infolge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen könnten. Dieses Ergebnis steht nach Ansicht des BFH auch nicht im Widerspruch zu der Neuregelung in § 73 Satz 2 AO. Denn die Regelung in § 73 Satz 2 AO betreffe gerade nicht die umsatzsteuerliche Organschaft, weil es eine mehrstufige umsatzsteuerliche Organschaft in diesem Sinne nicht gibt.
Unter Anwendung dieser Grundsätze könne der Senat nicht abschließend entscheiden, in welcher Höhe die X-GmbH als ehemalige Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO hafte. Im zweiten Rechtsgang wird das FG nun Feststellungen dazu zu treffen haben, in welcher Höhe die Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2014 den Organkreis betrifft. Wegen der Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft innerhalb des Voranmeldezeitraums am 27.03.2014 erfasst die Umsatzsteuerforderung gegen den (ehemaligen) Organträger für den Voranmeldungszeitraum März 2014 zum einen die Umsatzsteuer betreffend den Organkreis bis zum 27.03.2014 und zum anderen die eigene Umsatzsteuer der A-GmbH ab dem 28.03.2014. Die Haftung der Organgesellschaft gem. § 73 AO erstreckt sich auf den Zeitraum bis zum 27.03.2014 und endet nicht bereits zum 28.02.2014.
Der BFH hat erstmals zum zeitlichen Umfang der Haftung innerhalb einer umsatzsteuerlichen Organschaft gemäß § 73 AO bei Beendigung der Organschaft während des Voranmeldezeitraums entschieden. Hierbei hat er der bislang vorherrschenden Auffassung im Hinblick auf den zeitlichen Haftungsumfang iSe rechtlichen Entstehung der Steuern eine Absage erteilt. Das Urteil ist insbesondere für die Transaktionspraxis bei der Ausarbeitung von Unternehmenskaufverträgen betreffend den Erwerb von Anteilen an vormaligen (umsatzsteuerlichen) Organgesellschaften von Bedeutung.