October 05, 2022

EuGH nimmt Stellung zur steuerlichen Abzugsfähigkeit grenzüberschreitender finaler Betriebsstättenverluste im Abkommensfall

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EUGH NIMMT STELLUNG ZUR STEUERLICHEN ABZUGSFÄHIGKEIT GRENZÜBERSCHREITENDER FINALER BETRIEBSSTÄTTENVERLUSTE IM ABKOMMENSFALL

Mit Urteil vom 22.09.2022, (Rs. W, C-538/20) hat sich der EuGH erneut mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit finaler grenzüberschreitender Betriebsstättenverluste befasst. Er hat entschieden, dass die steuerliche Nichtberücksichtigung solcher Verluste im Ansässigkeitsstaat keinen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellt, wenn der Ansässigkeitsstaat aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens auf seine Befugnis zur Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte verzichtet hat.
Vorliegend war die Klägerin eine deutsche Wertpapierhandelsbank in der Rechtsform einer AG. Diese hatte im August 2004 eine Zweigniederlassung in Großbritannien errichtet. Im Februar 2007 wurde die Zweigniederlassung geschlossen. Die bis dahin aufgelaufenen Verluste konnten aufgrund der Schließung der Betriebsstätte in Großbritannien nicht mehr vorgetragen werden.

Das Finanzamt versagte der Klägerin die Geltendmachung dieser Verluste im Inland mit Verweis auf die EuGH-Entscheidung in der Rs. Timac Agro (C-388/14), woraus sich erkennen lasse, dass die sich aus der abkommensrechtlichen Freistellung der Betriebsstättengewinne ergebende Nichtabzugsfähigkeit der Betriebsstättenverluste mit Unionsrecht vereinbar sei.

Im nachfolgenden Klageverfahren gab das FG Hessen der Klage statt. Es erkannte die ausländischen Betriebsstättenverluste als final an und ließ den steuerlichen Abzug auf Ebene der deutschen Klägerin im Inland zu. Der BFH legte im Revisionsverfahren dem EuGH u.a. die Frage vor, ob die steuerliche Versagung der Geltendmachung finaler ausländischer Betriebsstättenverluste aufgrund von Rechtsvorschriften im Inland auch dann gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, „wenn es sich bei den betreffenden Rechtsvorschriften um die Freistellung von Gewinnen und Verlusten aufgrund eines bilateral zwischen den beiden Mitgliedstaaten vereinbarten Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung handelt“.

Der EuGH hat die Vorlagefrage dahingehend beantwortet, dass ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit in einem solchen Fall nicht vorliegt. Er begründet dies damit, dass der Ausschluss des Besteuerungsrechts seinen Ursprung im Doppelbesteuerungsabkommen findet. Da der Ansässigkeitsstaat (vorliegend: Bundesrepublik Deutschland) aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens auf seine Befugnisse zur Besteuerung des UK-Betriebsstättengewinns verzichtet hat, liegt nach Ansicht des EuGH keine vergleichbare Situation zum „Inlandsfall“ vor, die zu einer unzulässigen Einschränkung der Niederlassungsfreiheit führen könnte.

Die Frage der Abzugsfähigkeit finaler Verluste beschäftigt den EuGH bereits seit vielen Jahren. In seinem Urteil vom 13.12.2005 (Rs. Marks & Spencer, C-446/03) entschied er, dass ein vollständiges Abzugsverbot „finaler“ Verluste einer ausländischen Tochtergesellschaft im Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darstellen kann. Diese Grundsätze wurden in der Rs. Lidl Belgium mit Urteil vom 15.05.2008 auf grenzüberschreitende Betriebsstättenverluste erweitert.
Im Rahmen der weiteren Rechtsprechung schränkte der EuGH mit Urteil vom 17.12.2015 diese Auffassung wieder ein und sah in der Rs. Timac Agro keine Vergleichbarkeit (und damit keine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit), wenn der Ansässigkeitsstaat aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens über die Ergebnisse der Freistellungsbetriebsstätte „keine Steuerhoheit ausübt“. Das Urteil betraf den konzerninternen Verkauf der österreichischen, verlustverursachenden Betriebsstätte einer deutschen Kapitalgesellschaft auf eine österreichische Konzernkapitalgesellschaft.

Im nachfolgenden Urteil in der Rs. Bevola und Trock vom 12.06.2018 (C-650/16) entschied der EuGH, dass eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vorliegt, wenn unilaterale Vorschriften des nationalen Steuerrechts den Abzug finaler ausländischer Betriebsstättenverluste versagen. Mit der jüngsten Entscheidung erteilt der EuGH der Abzugsfähigkeit finaler (Freistellungs-)Betriebsstättenverluste wiederum eine Absage. Zwar sieht dies auf den ersten Blick nach einer „finalen“ Entscheidung des EuGH aus. Ungeachtet dessen, bestehen weiterhin offene Fragen (z.B. im Hinblick auf die Einordnung von Fällen, bei denen Doppelbesteuerungsabkommen mit Subject-to-tax-Klauseln bestehen), so dass die aktuelle Rechtslage im Hinblick auf die steuerliche Abzugsfähigkeit grenzüberschreitender Betriebsstättenverluste insoweit noch nicht geklärt ist.

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