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October 07, 2022

Referentenentwurf zur 11 Novelle des GWB zur Verscharfung des Kartellrechts veroffentlicht

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REFERENTENENTWURF ZUR 11 NOVELLE DES GWB ZUR VERSCHARFUNG DES KARTELLRECHTS VEROFFENTLICHT

Angesichts der damaligen Diskussion um hohe Benzinpreise und die Abschöpfung von "Übergewinnen" der Mineralölkonzerne kündigte Bundeswirtschaftsminister Habeck im Juni 2022 eine Verschärfung des Kartellrechts an. Am 26.09.2022 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nunmehr den Referentenentwurf zur 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) veröffentlicht. Es wird ein zügiges Gesetzgebungsverfahren erwartet.

Eines der wesentlichen Elemente des Entwurfs ist ein neues Eingriffsinstrument für das Bundeskartellamt (BKartA) im Anschluss an eine vorhergehende Sektoruntersuchung. Darüber hinaus soll das BKartA unter erleichterten Voraussetzungen kartellbedingte Vorteile abschöpfen können. Weitere Änderungen betreffen begleitende nationale Regelungen zu der EU-Verordnung Digital Markets Act.

Eine Auswahl der wichtigsten vorgeschlagenen Neuerungen im Überblick:

Neues Eingriffsinstrument nach abgeschlossener Sektoruntersuchung

Das Instrument der Sektoruntersuchung wurde im Jahr 2005 im Zuge der Angleichung des deutschen Kartellrechts an das europäische Recht in das GWB aufgenommen. Das BKartA kann seitdem die Untersuchung eines bestimmten Wirtschaftszweiges durchführen, wenn "starre Preise oder andere Umstände" vermuten lassen, dass der Wettbewerb möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist, und kann dabei von den betreffenden Unternehmen Auskünfte verlangen. Zukünftig sollen auch Beschlagnahmen durchgeführt werden können.

Ergeben sich im Zuge einer Sektoruntersuchung Anhaltspunkte für Kartellrechtsverstöße, kann das BKartA Verfahren gegen die betreffenden Unternehmen einleiten. Andernfalls hat das BKartA bislang keine Handhabe, um festgestellten Wettbewerbsdefiziten zu begegnen.

Diese aus Sicht des Referentenentwurfs bestehende "Lücke" im Instrumentarium der Eingriffsbefugnisse des BKartA soll durch Einführung eines neuen, zusätzlichen Eingriffsinstruments geschlossen werden. Konkret soll das BKartA nach Abschluss einer Sektoruntersuchung im Falle einer festgestellten "erheblichen, andauernden oder wiederholten Störung des Wettbewerbs" auf mindestens einem Markt oder marktübergreifend gegen einzelne Unternehmen "alle zur Beseitigung oder Verringerung der Störung des Wettbewerbs erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art" anordnen können – unabhängig von einem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß. Der Gesetzentwurf nennt in dieser Hinsicht beispielhaft verschiedene Maßnahmen. Als Ultima Ratio soll das BKartA Unternehmen dazu verpflichten können, "Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern, wenn zu erwarten ist, dass durch diese Maßnahme die erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs beseitigt oder erheblich verringert wird."

Das vorgeschlagene neue Eingriffsinstrument zielt in erster Linie auf Märkte mit einer geringen Zahl von Anbietern und hohen Marktzutrittsschranken, auf denen es regelmäßig zu parallelen Preisbewegungen kommt, ohne dass den Anbietern ein Kartellrechtsverstoß nachzuweisen ist – Stichwort Benzinpreise. Gedacht ist aber etwa auch an Konstellationen, in denen mehrere Unternehmen eines Marktes über gemeinsame Anteilseigner miteinander verflochten sind ("Common Ownership").

Erleichterte und erweiterte Abschöpfung kartellbedingter Vorteile durch BKartA

Die Abschöpfung kartellbedingter wirtschaftlicher Vorteile bei Kartellbeteiligten durch das BKartA ist bereits jetzt theoretisch möglich, scheitert aber in der Praxis bislang an der Schwierigkeit, die Höhe etwaiger Vorteile zu bestimmen.

Um dem abzuhelfen, soll in Zukunft eine gesetzliche Vermutung gelten, dass der durch einen Kartellrechtsverstoß verursachte wirtschaftliche Vorteil mindestens 1% des inländischen Umsatzes beträgt, den das betreffende Unternehmen mit den kartellbefangenen Produkten und Dienstleistungen während der gesamten festgestellten Dauer des Kartellrechtsverstoßes erzielt hat. Die Vermutung kann nur widerlegt werden, wenn das betreffende Unternehmen nachweist, dass die Gruppe, zu der das Unternehmen gehört, im gesamten Abschöpfungszeitraum weltweit keinen Gewinn in entsprechender Höhe erzielt hat. Dies wird in der Praxis selten der Fall sein.

Das BKartA soll zukünftig den wirtschaftlichen Vorteil für die gesamte festgestellte Dauer des Kartellrechtsverstoßes (bislang: längstens für einen Zeitraum von fünf Jahren) bis zu zehn Jahre (bislang: bis zu sieben Jahre) seit Beendigung des Kartellrechtsverstoßes abschöpfen können – zusätzlich zur Verhängung eines Bußgelds.

Fazit

Die vorgeschlagenen Verschärfungen des Kartellrechts würden die Befugnisse des BKartA deutlich erweitern. Unternehmen könnten sich zukünftig weitreichenden Eingriffen des BKartA gegenübersehen, ohne dass es dazu des Nachweises eines Kartellrechtsverstoßes bedürfte. Ob es in dieser Hinsicht derzeit tatsächlich eine Lücke im Eingriffsinstrumentarium gibt, wird unterschiedlich beurteilt. Die Möglichkeit eines Eingriffs, bis hin zu einer eigentumsrechtlichen Entflechtung, unabhängig von einem Kartellrechtsverstoß erscheint verfassungsrechtlich nicht unproblematisch.

Die bereits jetzt theoretisch mögliche, aber bislang praktisch aufgrund von Nachweisschwierigkeiten nicht erfolgende Abschöpfung kartellbedingter wirtschaftlicher Vorteile bei Kartellbeteiligten durch das BKartA – zusätzlich zu einem Bußgeld – könnte angesichts erleichterter Voraussetzungen zukünftig erhebliche Bedeutung gewinnen. Dabei müsste das BKartA bei einer Abschöpfung allerdings Schadenersatzansprüche berücksichtigen, da die geltend gemachten Schäden mit den Vorteilen korrespondieren können.

Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte bei der Ankündigung von Verschärfungen des Kartellrechts im Juni mit Blick auf die hohen Benzinpreise im Zuge der Energiekrise offenbar noch vorgeschwebt, eine Abschöpfung von "Übergewinnen" durch das BKartA unabhängig von einem Kartellrechtsverstoß zu ermöglichen. Diese Möglichkeit sieht der Referentenentwurf mit Recht nicht vor. Dem politischen Anliegen, vermeintlich überhöhte Gewinne von Mineralölkonzernen infolge der Energiekrise abzuschöpfen, trägt nunmehr die EU-Verordnung über "Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise" Rechnung, die unter anderem einen befristeten "Solidaritätsbeitrag" der fossilen Industrie vorschreibt