Deutschland auf dem Weg zum digitalen Notariat (?)

April 28, 2022

Deutschland auf dem Weg zum digitalen Notariat (?)

Abonnieren

Sprung Link Text

 

DEUTSCHLAND AUF DEM WEG ZUM DIGITALEN NOTARIAT (?)

Selten sind Politik und Wirtschaft sich so einig, wie bei der Beurteilung des Status Quo der Digitalisierung in Deutschland. Unisono wird das noch nicht voll ausgeschöpfte Potential hinsichtlich der Schaffung einer konkurrenzfähigen IT-Infrastruktur betont. Allerorts (und nicht zuletzt im Koalitionsvertrag 2021 – 2025) wird darauf hingewiesen, man müsse sich den Herausforderungen des digitalen Wandels in allen Lebensbereichen stellen, um die Stellung als führender Wirtschaftsstandort zu erhalten und auszubauen. Auch das Notarwesen will hier nichts schuldig bleiben. So fand Ende Mai 2021 der 30. Deutsche Notartag unter dem Motto „Das Notariat der Zukunft – digital und rechtssicher“ statt, man sieht sich selbst als „Vorreiter der Digitalisierung“. Ganz im Zeichen dieser Gesamtentwicklung erfolgte am 13. April 2022 die Vorstellung eines Gesetzentwurfs zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften („RegE“) durch die Bundesregierung. Bevor die wesentlichen Regelungen des RegE näher beleuchtet werden, soll in gebotener Kürze auf dessen Vorgeschichte eingegangen werden.

DiRUG – noch gar nicht da…

Die sog. EU-Digitalisierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, „Dig-RL“) trat am 31. Juli 2019 in Kraft und soll seitdem die Grundlage für eine Digitalisierung des Notarwesens in der Europäischen Union („EU“) bilden. Für die Umsetzung in nationales Recht wurde den Mitgliedsstaaten eine Frist bis zum 1. August 2021 (Artikel 2 Abs. 1 Dig-RL) mit der Möglichkeit zur einmaligen Verlängerung um ein weiteres Jahr eingeräumt (Artikel 2 Abs. 3 Dig-RL). Hiervon machte die Bundesrepublik Gebrauch, weshalb die im Gesetz zur Umsetzung der EU-Digitalisierungsrichtlinie („DiRUG“) vom 5. Juli 2021 enthaltenen Neuregelungen überwiegend zum 1. August 2022 in Kraft treten. Unter anderem werden dann Gesellschaftsgründungen und Beglaubigungen in gewissem Umfang digital und unter Verwendung der elektronischen Signatur möglich sein. Praktisch umgesetzt werden soll dies mit Hilfe einer kostenfrei von der Bundesnotarkammer („BNotK“) zur Verfügung gestellten App, welche die Abhaltung entsprechender Notartermine in Form von Videokonferenzen ermöglichen wird.

…und schon überarbeitungswürdig?

Trotz aller Freude über das gesetzgeberische Bestreben, auch das Notarwesen ins digitale Zeitalter zu führen, erntete das DiRUG schon vor Inkrafttreten auch Kritik. So wurde vorgebracht, der inhaltliche Anwendungsbereich des Gesetzes sei zu eng gefasst, was dazu führen würde, dass letzteres hinter den Umsetzungsakten anderer EU-Mitgliedsstaaten zurückzubleibe.

Kritisiert wurde im Speziellen, dass das DiRUG im Wege einer (bloßen) Mindestumsetzung der Dig-RL die Möglichkeit der Online-Beglaubigung von Handelsregisteranmeldungen nur für Einzelkaufleute sowie Kapitalgesellschaften und deren Zweigniederlassungen vorsah. Personenhandels- und Partnergesellschaften sollten von diesen Neuerungen nicht profitieren. Auch dass lediglich GmbH-Bargründungen mittels Videokonferenz möglich sein sollten, dies jedoch nicht für Sachgründungen galt, stieß nicht nur auf Begeisterung. Schließlich wurde bemängelt, dass das DiRUG die digitale Beurkundung von Änderungen eines Gesellschaftsvertrags nicht ermöglichte.

So merkte z. B. die BNotK in ihrer Stellungnahme vom 13. Januar 2021 an, es sei zu erwarten, dass ein Ausschluss von Personenhandelsgesellschaften aus dem digitalen Anmeldungsverfahren „in der Praxis als willkürlich und unzweckmäßig empfunden wird und zu Unverständnis auf Seiten der rechtssuchenden Bevölkerung führen dürfte.“ Dies betreffe insbesondere die weit verbreitete Rechtsform der GmbH & Co. KG. Folgerichtig wurde angeregt, „die Öffnung des Online-Verfahrens auch für Anmeldungen von Personenhandelsgesellschaften in Erwägung zu ziehen.“

Dieser Kritik wurde jetzt mit dem RegE begegnet.

RegE – großer Schritt in die richtige Richtung…

Nach Maßgabe des RegE soll die Möglichkeit von Online-Beglaubigungen von Handelsregisteranmeldungen, insbesondere vor dem Hintergrund der bedeutenden Praxisrelevanz der GmbH & Co. KG, nun generell allen Rechtsträgern offenstehen. Es wäre, so der RegE sinngemäß, nicht zweckmäßig, die Online-Beglaubigung der Anmeldung einer Komplementär-GmbH zu gestatten, dies für die (regelmäßig gleichzeitig vorzunehmende) Anmeldung der Kommanditgesellschaft selbst aber abzulehnen. Die Anwendung der entsprechenden Regelungen auf Anmeldungen zum Partnerschafts-, Genossenschafts- und Vereinsregister sei ebenfalls „sinnvoll und geboten.“

Auch die Ausweitung des Verfahrens der Online-Beurkundung auf GmbH-Sachgründungen, Gründungsvollmachten und einstimmig gefasste Beschlüsse zur Änderung von GmbH-Gesellschaftsverträgen (sog. satzungsändernde Beschlüsse) einschließlich Kapitalmaßnahmen (Erhöhung und Herabsetzung des Stammkapitals) sieht der RegE vor. Dies sei angebracht, da genannte Maßnahmen strukturell der für das Online-Verfahren besonders geeigneten Bargründung entsprechen würden.

…oder zu viel des Guten?

Teilweise wird gegen den RegE (bzw. schon gegen den entsprechenden Referentenentwurf vom 22. März 2022, auf welchem der RegE basiert) jedoch vorgebracht, er gewährleiste kein ausreichendes Maß an, gerade im Notarwesen besonders bedeutsamer, Rechtssicherheit. Insbesondere wird angeführt, dass im Online-Verfahren eine fälschungssichere Identifizierung der Verfahrensbeteiligten zum Zwecke der Geldwäscheprävention und zur Vorbeugung von Missbrauchsfällen nicht garantiert sei. Vielmehr könnte die Anonymität des Internets gezielt zu rechtswidrigen Handlungen ausgenutzt werden.

Daneben wird befürchtet, das Amtsbereichsprinzip und damit die Sicherstellung einer flächendeckenden Verfügbarkeit notarieller Dienstleistungen könnte dadurch gefährdet werden, dass die Digitalisierung des Notarwesens in erster Linie in den Metropolen erfolgen würde, was das Risiko der Entstehung einer Art „notarieller Zweiklassengesellschaft“ mit sich brächte. In letzter Konsequenz könnte dies dazu führen, dass Notariate sich künftig nahezu ausschließlich in Metropolregionen mit entsprechend ausgereifter IT-Infrastruktur konzentrieren und Mandanten ländlich gelegener Notariate massenhaft dorthin abwandern.

Stillstand ist Rückschritt

Zusammenfassend und vorneweg – die gesetzgeberischen Bemühungen, die rechtlichen Grundlagen für ein modernes Notarwesen im digitalen Zeitalter zu schaffen, sind überaus begrüßenswert. Vor dem Hintergrund allgemeiner, weltweiter Entwicklungen ist dies schlicht alternativlos, will die Bundesrepublik ihre Attraktivität als Wirtschaftsstandort beibehalten und ausbauen. Entsprechend positiv ist zu bewerten, dass die Dig-RL in diesem Jahr ihre Umsetzung in das nationale Recht erfährt. Die Ausweitung des inhaltlichen Anwendungsbereichs des DiRUG durch den RegE ist geboten und zweckmäßig, da so begründeten Bedürfnissen der gesellschaftsrechtlichen Praxis Genüge getan wird. Die Bedenken, dies gehe zu Lasten der Rechtssicherheit, lassen sich bei genauerer Betrachtung in erheblichem Umfang entkräften.

Die Gefahr eines Identitätsmissbrauchs wird dadurch minimiert, dass die von der BNotK dann angebotene App die eID-Funktion (Online-Ausweisfunktion) nutzt, um die Identität der Teilnehmer des Online-Verfahrens zu bestätigen. Zur Teilnahme ist also die Identifizierung durch ein Ausweisdokument mit eID auf höchster von drei Sicherheitsstufen i. S. d. sog. eIDAS-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG), der Sicherheitsstufe „hoch“, nötig. Diesem Standard entsprechen beispielsweise alle Stand heute gültigen Personalausweise der Bundesrepublik. Zwar gilt dies aktuell noch nicht für sämtliche im Ausland ausgestellten Ausweisdokumente, jedenfalls Bürgerinnen und Bürgern aus EU-Staaten und Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums („EWR“) wird die Teilnahme am Online-Verfahren aber keineswegs verwehrt. Zum einen stellt inzwischen eine Vielzahl von Staaten entsprechende Ausweisdokumente aus. Zum anderen besteht seit dem 1. Januar 2021 für alle mindestens 16 Jahre alten Bürgerinnen und Bürger der EU und des EWR die Möglichkeit, eine sog. eID-Karte mit Online-Ausweisfunktion zu beantragen. Seit dem 1. November 2021 ist hierfür nicht einmal mehr ein in Deutschland gelegener Wohnsitz nötig, die Antragsstellung ist vielmehr auch bei vom Auswärtigen Amt benannten deutschen Auslandsvertretungen möglich. Die elektronische Identitätsnachweisfunktion der eID-Karte entspricht derjenigen des Personalausweises. Die Beurkundung selbst erfolgt wie gewohnt, nur eben im Format einer Videokonferenz. Dies gewährleistet insbesondere eine höchsten Standards entsprechende Aufklärung der Verfahrensbeteiligten über alle Risiken und Pflichten durch die Notarin/den Notar.

Auch die Aushöhlung des Amtsbereichsprinzips droht nach aktueller Fassung des RegE kaum. Es ist nämlich vorgesehen, eine ortsgebundene Zuständigkeit von Notariaten auch für das Online-Verfahren einzuführen. Angeknüpft werden soll insoweit an den Sitz der betroffenen Gesellschaft bzw. Zweigniederlassung oder an die organschaftliche Vertretungsbefugnis. Ersteres kann die Notarin/der Notar problemlos prüfen und so ihre/seine Zuständigkeit feststellen, bei letzterem sei davon auszugehen, „dass sich solche Personen in erster Linie an eine Notarin oder einen Notar in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnort wenden werden, sofern die Beurkundung nicht ohnehin durch eine Notarin oder einen Notar am Sitz der juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft vorgenommen wird“. Daneben ist Konkurrenz zwischen Notarinnen und Notaren auch heute schon nichts Ungewöhnliches, sondern vielmehr ein dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb auf natürliche Weise innewohnender Umstand. Fachliche Kompetenz und Reputation der Notarin/des Notars sowie die Servicequalität des jeweiligen Backoffice sind valide Auswahlkriterien für Mandanten. Es erscheint sogar nicht abwegig, das Online-Verfahren als Chance für weitab von Metropolregionen gelegene Notariate zu sehen, da es diesen die Möglichkeit gibt, durch ein zeitgemäßes und modernen technischen Standards entsprechendes Dienstleistungsangebot auch Mandaten anzuziehen, die man aufgrund großer räumlicher Distanz auf konventionellem Wege nicht hätte für sich gewinnen können.

Auf Grundlage von DiRUG und dem RegE wird sicher noch kein vollständig digitales Notariat entstehen. Dies ist aber, Stand heute, auch nicht erklärtes Ziel. Vielmehr geht es darum, digitale Kommunikationswege und -mittel möglichst harmonisch in die traditionelle Notarstätigkeit einzufügen. Die durch das Online-Verfahren erzielte Ersparnis von Zeit, Kosten und Ressourcen soll mit dem im Notarwesen absolut essenziellen Erfordernis der Rechtssicherheit kombiniert werden. Die geplante Gesetzgebung legt hierfür den nötigen Grundstein. Maßvolle und durchdachte Digitalisierung auch im Bereich des Notarwesens ist alternativlos, wenn die Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland langfristig und nachhaltig gewährleistet werden soll.

Kurz und bündig

  • Zum 1. August 2022 wird das die Dig-RL umsetzende DiRUG in Kraft treten und in gewissem Umfang die digitale Durchführung von Gesellschaftsgründungen und Beglaubigungen unter Verwendung der elektronischen Signatur ermöglichen;
  • die im RegE vom 13. April 2022 enthaltenen Änderungen, insbesondere die Ausweitung des inhaltlichen Anwendungsbereichs des DiRUG, sind begrüßenswert;
  • wesentliche Einbußen an Rechtssicherheit sind nicht zu befürchten, es soll vielmehr ein maßvoller und praxisgerechter Ausgleich zwischen letzterer und modernem Effizienzstreben erzielt werden;
  • die voranschreitende Digitalisierung des deutschen Notarwesens ist positiv zu bewerten und im Sinne der wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepublik aktiv zu fördern;
  • ein digitales Notariat wird und soll nicht „von heute auf morgen“ entstehen. Es bedarf vielmehr einer langfristig angelegten, schrittweisen Einbindung moderner Technik in das Notarwesen unter stetiger Abwägung aller relevanten Kriterien (mit herausragender Bedeutung des Erfordernisses der Rechtssicherheit).

Regionale Erfahrung